Kunstausstellung: „Wir wirbeln Staub auf - Von der Gotik in die Schwerelosigkeit“

28.4. - 25.5.2024 in der Unteren Rathaushalle

Das Jahr 2024 bedeutet für Rathaus und Roland in Bremen das Jubiläum „20 Jahre Welterbestatus durch die UNESCO“. Anlässlich dieses Jubiläums wurde eine besondere Kunstausstellung konzipiert, um die Bremerinnen und Bremer und auswärtige Besucher zu einem Perspektiv-Wechsel zu motivieren. Gemeinsam mit dem Kölner Künstler Wolfgang Stöcker, Leiter des Internationalen Staubarchivs, und dem ehemaligen Bremer Staatsrat und Hobby-Fotografen Matthias Stauch wurde die Ausstellung „Wir wirbeln Staub auf - Von der Gotik in die Schwerelosigkeit“ mit den UNESCO-Projektschulen für die Untere Rathaushalle realisiert. Sie wurde vom 28.4. - 25.5.2024 täglich von 11:00 bis 18:00 Uhr gezeigt und mit Bürgermeister Andreas Bovenschulte eröffnet. Sie endete mit einer Finissage zur Versteigerung der Fotoarbeiten. 

Die filmische Dokumentation zum Projekt

... und nun dürfen Sie 4,5 Minuten Träumen:

Hier fallen die Rathausstäube vom gotischen Dachstuhl und aus dem Ratskeller im Bremer Fallturm die 140 Meter in knapp 4 Sekunden - und werden damit "schwerelos".

Der Film der Makemediastudios (beim Senator für Bildung) ist auf 4,5 Minuten gestreckt und mit Saxophon (Peter Dahm) und Gambe (Claas Harders) musikalisch unterlegt.
Träumen Sie selbst:

Collage Dachstuhl und Köpfe

Ein herzliches Dankeschön!

Blaues Plakat mit Sponsorenlogos
Wir danken allen Beteiligten und Unterstützern
Rathaus mit Steinwirbeln

Detailliertere Informationen zum Projekt:

Wir wirbeln Staub auf - Von der Gotik in die Schwerelosigkeit

 

Gewachsen in über 600 Jahren Baugeschichte, verkörpern Rathaus und Roland zu Bremen in einzigartiger Weise die politische Geschichte der Stadt. Eindrucksvoll reicht die Spanne von der Hansestadt im mittelalterlichen Europa bis zum modernen Bundesland der Gegenwart. Das Bremer Rathaus ist das einzige Rathaus weltweit mit Status UNESCO Weltkulturerbe.

 Freiheit und Selbstbestimmung

Bis heute konnte Bremen seine politische Selbstständigkeit und Freiheit bewahren. Freilich bedeuteten Freiheit und Mitbestimmung in früheren Zeiten etwas völlig anderes als heute. In der Hansestadt war politische Teilhabe einer exklusiven Schicht reicher Bürger vorbehalten, ganz zu schwiegen von den Frauen, denen die Beteiligung am politischen Leben in der Regel nicht gewährt wurde. Trotzdem waren es letztlich die Städte, die Welt der Handwerker, und Kaufleute, in denen sich ein modernes Verständnis von Demokratie allmählich entwickelte. In dieser Hinsicht steht das Bremer Rathaus mit seinen unterschiedlichen Bauphasen für eine lange Entwicklungslinie bürgerlicher Emanzipation.

 Stadt- und Landesregierung

Wie durch ein Wunder blieb der Bau von allen Kriegszerstörungen verschont und so steht das Bremer Rathaus gleich für mehrere Jahrhunderte städtischer Entwicklung, mehr noch vereint das Gebäude Aufgaben der Stadt- und der Landesregierung. Die Stadt und das Bundesland Bremen mit Bremen und Bremerhaven finden dort ihren historischen Kernpunkt, das Zentrum von Eigenständigkeit, Demokratie und Mitbestimmung.

Offenes Haus

 Es ist ein offenes, freundliches Haus, das seine Gäste willkommen heißt. Zur Vorbereitung der Ausstellung wurden viele Türen geöffnet. Sogar der Senatsaal konnte mehrfach begangen werden. Die in das Projekt involvierte Schülerschaft – es ist die kommende Generation, in deren Hände das Schicksal des Rathauses einmal liegen wird – erlebte die Räume als nahbare und damit zugängliche Orte. Wer wollte, durfte sogar auf dem Stuhl des amtierenden Bürgermeisters Platz nehmen. Auch so generiert sich Bedeutung, Selbstverständnis und schließlich Identifikation.

Aufbrüche.....

 Traditionell blickt Bremen offen in die Welt. Von der Weser segelten Kaufmannsschiffe rund um den Globus. Die Erweiterung von Horizonten hat Tradition. Im wissenschaftlichen Leben der Stadt spielt die Erkundung der Welt bis heute eine wichtige Rolle. Dabei reicht die Spanne von der Erforschung der Meere (Alfred Wegener Institut, Bremerhaven) bis in den Weltraum. Im sogenannten Droptower des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) kann im freien Fall sogar Schwerelosigkeit erzeugt werden. So entstand der verführerische Gedanke historischen Rathausstaub auf eine Reise in die Schwerelosigkeit zu schicken.

 Von der Gotik in die Schwerelosigkeit

 Die Bilder des Experiments wurden Teil der Ausstellung. Bremer Schülerinnen und Schüler haben die dafür verwendeten Proben am 25.01.2024 an einem (fast) geheimen Ort im Rathaus entnommen. An diesem Tag führte eine „Staubexpedition“ hinauf zum Dachboden des gotischen Rathausbaus.

Spuren der Vergangenheit

 Zumeist bleibt die kühne Balkenkonstruktion Besuchern verborgen. Doch jetzt wanderte der Dachboden Dank der großformatigen Fotografien von Matthias Stauch hinunter in die Ausstellung. Stauch hat den Speicher auf vielfältige Weise eingefangen und dokumentiert. Seine geometrischen Strukturen bilden ein Geflecht aus Linien und Winkeln, die im eigentümlichen Dämmerlicht erscheinen. Dort oben gibt es eine abenteuerliche Wendeltreppe, die vom Dachboden wieder hinab in die Obere Halle führt. Die gesamte Teilnehmerschaft der Expedition zwängte sich am besagten Tag dort hinunter. Im Treppenschacht fanden sich Spinnweben, kleinstes Gestein und Mörtelreste. Man war buchstäblich auf der Suche nach kleinsten Spuren zurück in die Vergangenheit.

Vom Staub...

 Staub ist ein faszinierendes Material. Buchstäblich bildet er Schicht für Schicht die Geschichte eines Ortes ab. Für Naturwissenschaftler ist Staub ein hochinteressanter Stoff, der es buchstäblich in sich hat. Auch kulturhistorisch und künstlerisch hat der graue Stoff einiges zu bieten. Was Staub genau ist, hängt von der Definition der jeweiligen Sicht und Wissenschaftsdisziplin ab.

 Wir wirbeln Staub auf

 Der Kölner Künstler Wolfgang Stöcker befasst sich in seinem 2004 gegründeten Internationalen Staubarchiv mit der Anwesenheit von Staub an bedeutenden Kunst- und Kulturorten. Seine Definition von Staub ist dabei sehr weit gefasst. Mittlerweile verwahrt er über 600 Proben von verschiedensten Orten weltweit. Bereits seit 2013 lagern Partikel vom Dachboden des Bremer Rathauses im Bestand des Staubarchivs. Dass zehn Jahre später die Idee zu einer Kunstausstellung daraus entstehen könnte, war nicht absehbar.

Staub als Sinnbild, Ordnung zu halten

 Auf seinen Expeditionen geht es Stöcker nicht darum die besuchten Orte als staubig oder gar verwahrlost zu präsentieren. Im Gegenteil, sind die meisten Gebäude und so auch das Bremer Rathaus sehr saubere Orte. Hier wird alles gepflegt und wenn nötig restauriert. In dieser stetig entgegengebrachten Zuwendung spiegelt sich gesellschaftlich verankerte Wertschätzung. Stöcker spürt solchen Bezügen nach. Der Staub fungiert dabei als Sinnbild die Dinge in Ordnung zu halten. Freilich bedingen sich Ordnung und Unordnung gegenseitig. Absolute Ordnung ist nicht möglich, wäre wahrscheinlich sogar unerträglich. Doch unsere Existenz in einer Welt der materiellen Stoffe macht es immer wieder notwendig Formen von Ordnung zu entwickeln. Es sind dies Kunstformen, Bauformen, Gesellschaftsformen, Denkformen. Besteck und Werkzeug, Schmuck und Stuck. Der Staub ist Anfang und Ende zugleich, ein potentiell produktives Chaos aus dem Neues entstehen kann.

 Zweifellos ist das Bremer Rathaus ein zur Form gebrachtes Gesamtkunstwerk. Die Erscheinung seiner Silhouette, seine Position innerhalb des Stadtbildes, machen es unverwechselbar. In gewisser Weise gilt:

 Rathaus und Roland sind Bremen

 Das Bremer Rathaus ist eine Architektur-Ikone und steht in einer Reihe mit so unterschiedlichen Bauten wie Eiffelturm, Freiheitsstatue oder Kölner Dom. Die starke Wirkung dieser Ikonen beruht auf ihren markanten Umrissen. Doch etwas paradox steht das unverwechselbare Aussehen dieser Bauten einer tieferen Betrachtung oftmals im Weg. Eine Ikone greift inhaltlich zu kurz.

 Roland = Ritter = Bremen ?

 Ikonischen Bauten und Denkmalen ist ihre Bekanntheit Segen und Fluch zugleich. Man setzt ihr Konterfei mehr oder weniger stilisiert in allen möglichen Bildmedien ein, und betreibt auf diese Weise unvermeidlich ihre optische Inflation. Wie durch einen tarnenden Schleier verhüllt, verschwinden die Bauten hinter der eigenen Popularität.

 Genau hier setzte die Ausstellung an. Sie beschäftigte sich nur indirekt mit der langen Historie des Gebäudes und legte den Fokus stärker auf visuelle Aspekte. Im Vordergrund standen Mechanismen des Sehens und der Beobachtung: Wie sieht etwas wirklich aus? Was ist alles vorhanden? Gewechselt wird das Objektiv. Im neu eingestellten Fokus tauchen verborgene Dinge auf.

Im Gefüge mittelalterlicher Macht 

Das mit Figuren und Bildprogrammen reich versehene Bremer Rathaus lieferte in dieser Hinsicht unendliche Möglichkeiten. Dabei ist der Formenreichtum kein bloßes Dekor. Man findet Heilige, Kaiser und Könige, Kurfürsten und Philosophen. Allesamt stehen sie für das Selbstverständnis der Hansestadt im Gefüge mittelalterlicher Machtkonstellationen.

 Doch man muss gar nicht derart tief in die Symbolik des Baus einsteigen, um Interessantes zu entdecken. Auch in den Ebenen des Alltäglichen kann das Erstaunliche plötzlich aufscheinen. Je nach Perspektive und Ausschnitt generiert sich aus dem Beiläufigen scheinbar mühelos das Wundersame.

 So öffnete die Ausstellung Schichten, die gemeinhin verborgen bleiben. Die Schülerinnen und Schüler erkundeten den Bau mehrfach unter diesem Aspekt. Entstanden sind sehr individuelle Aufnahmen von großer Vielfalt und Komplexität. Die Motive reichten vom originell eingefangenen Tellerstapel bis hin zur feierlich in Szene gesetzten Güldenkammer. Die Bilder der Schülerinnen und Schüler sind mit kleinen dazu verfassten Texten in den virtuellen 3D-Rundgang eingeflossen, der so ergänzt auch weiterhin auf der Website des Rathauses zu sehen bleibt.

 Freier Fall im Vakuum

Ganz andere Bildwelten lieferte das im Februar 2024 durchgeführte Fallexperiment im Droptower. Unsere gesammelten Partikel wurden mit Hilfe von Technikern des Zentrum für Angewandte Raumfahrtforschung und Mikrogravitation (ZARM) in einer speziellen Forschungskapsel installiert und dann im Vakuum des Turmschachts in die Schwerelosigkeit abgeworfen. Selbst das Expertenteam war nicht sicher, wie sich die Partikel im freien Fall verhalten würden. Es funktionierte! Allein die Lichtverhältnisse waren eine Überraschung. In der Zeitlupe wird deutlich, welch unterschiedliche Flugbahnen die einzelnen Partikel beschrieben. Der aus der Dokumentation in Realtime entstandene Film im Zusammenspiel mit der eigens komponierten Musik von Peter Dahm war ein besonderes Highlight der Ausstellung.

 Wir waren alle neugierig auf das Experiment. Der Tag im ZARM bedeutete für die Schülerinnen und Schüler Wissenschaft zum Anfassen. Im Team wurde das Experiment umgesetzt. Ähnlich mag es den Bauleuten der Gotik ergangen sein, die in ihren Bauhütten gemeinschaftlich kühne Konstruktionen erdachten und so in gewisser Weise der Schwerelosigkeit bereits auf der Spur waren.

 Um den Bogen zu schließen, sei erwähnt, dass damals, in der Zeit des Hochmittelalters das politische Leben im erstarkenden Gemeinwesen der Städte erhebliche Fortschritte machte. Das Zeitalter des Feudalismus bekam erste Risse. Handwerker und Kaufleute, betraten als neue Akteure die politische Bühne. Dabei wurden die Rathäuser zu kommunalen Treffpunkten und politischen Schaltzentralen des Geschehens. Sie sind es bis heute geblieben.

 

zwei Männer im Dachgebälk
Die Fotokünstler Matthias Stauch und Wolfgang Stöcker; Foto: Rambalski